«Es sind 100’000 Menschen mehr in Pension gegangen, als neu in den Arbeitsmarkt eingetreten sind.»

Vor zehn Jahren gab es von einer Firma eine Stelle auf dem Markt – und es gab hundert Headhunter. Und jeder ist auf die Firma losgegangen, um zu versuchen, ihr seinen Kandidaten zu verkaufen. Heute gibt es tausend Stellen auf dem Markt, aber wir haben keine Kandidaten mehr. Das ist für uns ein Riesenproblem. Und diese Schere wird grösser und grösser.

Wo sind die Leute bloss hin?
Das ist die Frage. Natürlich war da Corona. Ganz besonders im Sponsoring, in der Gastronomie, in der Hotellerie und in verschiedenen anderen Bereichen hat man gesehen, dass die Jobsicherheit nicht mehr gegeben war. Viele Kandidaten haben sich zu einem Reskilling oder Upskilling entschieden. Grosse Firmen wie Adecco offerieren das mit Erfolg.

«Fachkräftemangel. Fachkräftemangel. Fachkräftemangel.»

Bevor ich euch meine Empfehlungen mitgeben kann, wie man vielleicht Fachkräfte findet und wie man die besser gewinnen kann, lasst mich noch die “alte gewohnte Welt” und die “neue gewohnte Welt” miteinander vergleichen.

Die alte gewohnte Welt
Früher haben Unternehmen gedacht und gesagt (und einige auch zu Recht), dass jeder bei ihnen arbeiten will. Der Arbeitgeber hatte die Qual der Wahl, hat sich Zeit lassen können bei der Suche: eine Woche, zwei Wochen, einen Monat… – Die Macht der Entscheidung lag beim Arbeitgeber: Das ist die Rekrutierung. Das ist der Arbeitsvertrag. Das ist das Salär. Take it or leave it.

Die neue gewohnte Welt
Heute reissen sich alle um die wenigen Fachkräfte. Jeder will den einen Top-Kandidaten haben. Kandidaten haben mehrere Prozesse am Laufen, mehrere Recruiting Firmen gucken sich die Unternehmen auch ganz genau an. Heute muss der Unternehmer um den Kandidaten kämpfen.

«Unternehmen müssen lernen und verstehen, dass Kandidaten heute am längeren Hebel sitzen.»

Branding, Salär, der gute Name des Unternehmens – das alles steht gar nicht mehr so sehr im Vordergrund. Homeoffice Policy, Nachhaltigkeit des Unternehmens, die Stimmung im Team, der Vorgesetzte – das spielt heute die grosse Rolle. Plötzlich sind da sehr, sehr viele Forderungen – und da fallen dann schon die meisten Kandidaten raus, weil viele Unternehmen noch nicht so weit sind, dass sie all das anbieten können.

Meine Empfehlungen
Erstens: Habt ihr Klarheit, wie der Prozess laufen wird?
Setzt euch als Team zusammen und erstellt eine Roadmap: Wen brauchen wir überhaupt? Was muss diese Person mitbringen? Was sind die Must have Kriterien und worauf können wir verzichten? Wie viele Interviews werden wir machen? Wann ist das erste Interview, wann das zweite? Soll es noch ein Assessment geben?

«Zwischen dem ersten und dem zweiten Interview gehen am meisten Kandidaten verloren.»

Eine klare Timeline ist wichtig: zwischen dem ersten und dem zweiten Interview werden am meisten Kandidaten verloren, weil man sich zuviel Zeit lässt und «noch ein paar andere anschauen» will», und da sind dann 50 Prozent der Kandidaten schon weg. Nicht, weil sie sich gegen euch als Unternehmen entscheiden, aber für eine andere Chance.

Zweitens: Eine Stellenbeschreibung verfassen, die sich abhebt vom Rest.
Alle Stellenbeschriebe sehen gleich aus. Da könnt und müsst ihr euch abheben. Es ist die Mühe wert, diese Extrameile zu gehen und ein perfektes Stelleninserat zu erstellen, das sich von der Masse unterscheidet.

«Warum sehen alle Stellenbeschriebe gleich aus?»

Drittens: Wo und wie ausschreiben?
Selber ausschreiben? Über die eigene Homepage? Über LinkedIn, Xing, Instagram? Oder über einen Headhunter, einen Rekruter wie Humanis? Natürlich ist das auch eine Kostenfrage, aber warum nicht die darauf ansetzen, die das jeden Tag machen und darauf spezialisiert sind? Es gibt kein richtig oder falsch. Auf jeden Fall aber sollte man kreativ sein. Es kann auch ein Video sein, in dem sich Mitarbeitende zur Stelle und zum Unternehmen äussern.

Viertens: Erst zuhören, dann reden.
Ein gut strukturiertes Interview beginnt damit, zuerst den Kandidaten reden zu lassen. Hört erst mal gut zu, was er oder sie benötigt, um sich wohl zu fühlen. Was motiviert ihn, was treibt ihn an? Was sind seine wichtigen Werte?

«Wenn die Werte nicht zur Unternehmenskultur passen, kann man das Interview schnell beenden.»

Stimmen die meisten Werte aber überein, würde ich auf seine Bedürfnisse eingehen und schauen, wie man sich gemeinsam finden kann. Erst danach solltet ihr den Kandidaten fragen, was er mitbringt. Ganz wichtig dabei: Sagt dem Kandidaten im Interview direkt und offen, wie der Prozess weiter verlaufen wird.

Fünftens: Wie absagen?
Keinesfalls per E-Mail und schon gar nicht mit einer Standard-Antwort! Sondern den Hörer in die Hand nehmen und persönliches Feedback geben, mit dem der Kandidat etwas anfangen kann. “Word of Mouth” ist heute, in Zeiten von Social Media, entscheidend: Ein Kandidat, der eine gute Absage bekommen hat, würde sich wahrscheinlich sogar dafür entscheiden, mal eine Review zu schreiben, die positiv ist – selbst wenn er den Job nicht bekommen hat. Reviews sind Branding fürs Unternehmen. Seid euch bewusst, dass der Kandidat euer Unternehmen bereits kennt – u.a. durch Kununu und die ganze Social Media Vernetzung.

Ansätze, um der Misere des Fachkräftemangels zu begegnen

Outsourcing
Eine Studie eines grossen personaldienstleisters in Amerika hat ergeben, dass viele gute Leute ihr eigenes Unternehmen gründen und auf Projektbasis arbeiten. Es kann sich also lohnen, gewisse Kompetenzen auszusourcen, die man im eigenen Unternehmen nicht hat. Der Trend wird sich in diese Richtung entwickeln: Sehr viele Menschen bewegen sich zur Zeit in verschiedene Bereiche der Spezialisierung.

«Man wird in Zukunft sehr viel Know-how massgeschneidert einkaufen können.»

Reaktivierung der Ü65
Wir haben in den letzten Monaten auf temporärer Basis sehr viele 65-jährige plus vermittelt. Die haben ja das Know-how, wenn wir zum Beispiel im Bereich Finanzen sind. Warum sollte jemand, der 65 plus ist und noch arbeiten möchte, nicht diese tolle Leistung erbringen können, wenn er will? Gerade Teilzeit ist für viele eine willkommene Lösung.

«Work-Life-Balance, das Schlagwort der Jungen, ist nicht nur bei diesen ein Thema.»